Statements und Gebrauchsanweisungen von Peter Basseler

Jeder Schaukasten enthält auf seine Idee hin maßgestaltete Figuren, Gegenstände und Details. Sie bestehen aus "verschiedenenen Materialien und Immaterialien":
= Holz, Ölfarbe, Wasserfarbe, Leim, Kleister und div. Klebstoffe, Pappe, Papier, Plastilin, Plexiglas, Draht, Holzmehl, Sand , Erde, Kunststoffe, verstorbene, balsamierte Tiere und Pflanzen(teile), Wasser, Sauerstoff, Textilstoffe, Stecknadeln, Zahnstocher, Nähgarn, Wolle, Staub, Sonnenlichtreflexe, Kunstlichtreflexe, Kunstlicht, Strahlenpilze, Salmonellen, Plutonium, Polyester, Pinselhaare, Spiegel, Salz, Gewürze, Glykose, Gewebe, Moleküle, Atome, lebende Einzeller, tote Pantoffeltierchen, Eierschalen, Tinte, Kohlendioxyd, Kohlenmonoxyd, Eisen und Stahl, Schweiß, szenarisch geronnene Über-Ichs, Halluzinationen, Tatsachen, Zeitdokumente, inhaltliche Außenreize, magnetische, mechanische und geistige Kraftfelder, Zwischenlager von Impuls-Energien für Assoziationsketten im Betrachter, transversale Wellenquellen, Symbolkopplungen und –interferenzen. (1985)

Häufig werden improvisierte Wohn- und Lebensverhältnisse thematisiert. Aus der fernen Sicht durchorganisierter, gegen Zufälle abgesicherter Lebensführung mögen die Szenerien kalt und trostlos erscheinen. Aus der Nähe betrachtet handelt es sich um Darstellungen einiger noch unverplanter Freiraum-Reservate mit erbaulichem Tagesprogramm.

Nicht lebenserfahren genug ist derjenige, der hier über das Gefühl von Trostlosigkeit nicht hinauskommt – ähnlich dem, der ein Leben lang die kalte Dusche meidet und das Wohlgefühl danach nicht kennt.

Etwaige apokalyptische Signale in den Schaukästen wollen nicht deprimieren, sie sind Betablocker fürs Überleben: Soeben noch sichtbare frische, heile Lebensaspekte werden schon ausgespart, weil sie als instabil, als "sinkendes Schiff" erkannt sind. Körpertraining heißt mehr tun als im Augenblick nötig, und das Leistungslevel zu erhöhen, um im Bedarfsfall gerüstet zu sein; so auch hier: Wir trainieren angesichts von Horror das Gefühl von Unterhaltung und Wohlbefinden ein. Man kann so beruhigter in die Zukunft sehen, gewiß sein, daß man alles getan hat, um zukünftige Belastungen leichter zu nehmen. Sehr eifrige Trainierer können bald vor lauter Spannung das nächst Schlimmere kaum erwarten. (1983)


Nicht immer nur neue Fragen aufwerfen – auch einmal welche beantworten...

Nicht stets die Arbeit und Verantwortung an den Betrachter delegieren – auch einmal selbst für Werk und Wirkung geradestehen...

Nicht ein Leben lang in ständiger Erneuerung und Veränderung sein und bis ins hohe Künstleralter nur ironisieren, irritieren, provozieren, kritisieren - auch einmal erwachsen werden und einen eigenen Standpunkt einnehmen...

Nicht nur Banales künstlerisch pathetisch vernebeln, verrätseln und vergeheimnissen - auch einmal etwas Geheimnisvolles aufklären...

Nicht immer nur auf der Suche nach etwas sein – auch einmal etwas finden! (2000)

Die Werke sind inhaltlich und in ihrer unverschlüsselten Formalität kommunikativ. Sie wollen sich dem Betrachter, der zu ihnen gekommen ist, gegenüber nicht verweigern, sondern ihm etwas Besonderes anbieten. (1997)

Die Kästen sind nicht dafür konzipiert, mit einem Ausstellungsraum oder einer Galeriewand zu korrespondieren. Sie sind umfeld-unabhängig und sind für sich selbst zu sehen. Sie wirken im Kunstraum auf dieselbe Art wie außerhalb an jedem anderen Ort. (1997)

Ein Kunstwerk hat stets eine größere Energie und Signalkraft als sein allgemeines Umfeld. Ein Kunstwerk ist etwas Besonderes und fällt innerhalb des Allgemeinen auf. Ein in die Kunsthalle getragener Alltagsgegenstand kann daher kein Kunstwerk werden, auch wenn seine Kunstwerdung per Ortswechsel theoretisiert werden mag.
Ein echtes Kunstwerk behält dagegen seine besondere Wirkung auch dann, wenn es aus dem engen, schützenden Kunstraum ins freie Allgemeine heraustritt, und ist dort auch ohne kunsttheoretischen Beistand als etwas Besonderes und Außergewöhnliches erkennbar.
Nur ein solches Werk macht Sinn, in die Kunsthalle getragen zu werden, als besondere Leistung an einem besonderem Ort.
Das pathetische Hervorheben von banalen Gegenständen an besonderen Orten wie Kunsthallen ist paradoxer Nonsense, der kulturelle Vitalität unterfordert und lähmt. (2001)

Eine gute Idee ist eine, die soweit wie nur irgend möglich auf ihre Wahrheit – Vollständigkeit ihrer Aspekte, Übereinstimmung mit einer möglichst großen Welterfahrung ihres Autors und auf ihren Innovationsgehalt hin überdacht und überprüft wurde. Guter Stil ergibt sieh automatisch, wenn er diese Idee in allen ihren Teilen klar und überprüfbar darstellen kann.
Echter Stil beschäftigt sich nicht mit sich selbst, weil er viel zu sehr mit der Umsetzung seiner Idee beschäftigt ist. So ergibt sich z.B. bei Sherlock Holmes eine bestimmte Kleidung, Gehweise, Körperhaltung usw. oder eine Straßenroute – aus der Verfolgung einer Spur heraus. Er überlegt sich nicht, wie attraktiv oder rätselhaft sich das Liniengewirr seines Weges gestaltet, das spätere Fans auf dem Stadtplan nachziehen, ihn bestimmt sein Vorhaben.
Ebenso folgt der Künstler stilistisch seiner Idee. Derjenige, der nur einen Stil für sich finden möchte, ist unterwegs wie Holmes ohne Verbrecher: Er irrt und sucht ziellos umher. (1985)

Die Kästen sind inhaltlich orientiert und stehen über formalen Kriterien. Formale, ästhetische, kunstbegriffliche Überlegungen sind sekundär. Ebenso wie man sich nicht genießerisch mit der Form-Farbbetrachtung des Auto-Inneren aufhält, wenn draußen die Unfälle und Landschaften passieren.

3-D ist hier nicht nur eine Darstellung von etwas, sondern auch eine Darstellung von sich selbst: Die Figur ist sowohl Darstellung eines Menschen als auch Darstellung einer maßstabsverkleinerten Puppe. Ideen von Relation und Relativität lassen sich so organischer umsetzen als im 2-D-Bild.

Die maßstabsverkleinernde 3-D-Technik der Kästen und der Spielzeug-Modellbau sind verwandt wie Buschmann und Schimpanse. Zugrunde liegt der Drang, sich aus dem Umfeld zu erheben und in eine Überblick-Position zu gelangen.

Wenn ich die Kästen baue – schrumpfe ich zur Größe der Insassen und arbeite in ihrem Umfeld als selbstverantwortlicher Maurer, Schneider, plastischer Chirurg und Frankenstein, Architekt und Anstreicher, Friseur, Zufallsregisseur oder Zeitmaschinist in Richtung Vergangenheit oder Zukunft.
Mittendrin werde ich mir wieder meiner Übergröße bewußt – wenn ich z.B. als Wetter Häuserwände verwittere oder als Wind Laub zusammenpuste, wachse ich sogar über mich selbst als Gulliver hinaus und Gottes Thron liegt greifbar nahe...doch das Unvermögen, den Figuren echtes Leben einzuhauchen bringt mir mein Selbst-Bewußtsein zurück.

Die Figuren sind nicht in die Kästen eingesperrt. Die Außenwände schirmen sie vielmehr gegen ihr aggressiv-expansives Umfeld ab, sind Fluchtburg vor so manchem Betrachter und stoßfeste Verpackung beim Transport.

Elitär eingestimmte Leute stören sich gern an dem cheek-to-cheek-Tanz mit dem Modellbau. Ihnen mißfällt das Bemühte, Andienende daran, und dass die Dinge so aufdringlich fleißig ausdefiniert sind. Warum? Weil sie künstlerische Qualität unbewußt über alltägliche Arbeitsnormen messen – der lässige Chef oben, der bemühte Angestellte unten.
Der gute Künstler ist nichts von beiden, und er strengt sich nicht des Publikums wegen an, sondern aus Fanatismus für den freien universalen Überflug und aus Forschungsdrang. (1985)

Kunst ist Beobachtung von höherer Warte aus, von wo nicht mehr auf irgendetwas dort unten reagiert wird, sondern von wo man - wie als Astronaut - nur noch staunen kann.
Wer gedanklich nicht das gängige Raum- und Zeitmaß verläßt, sondern nur im Hier und Heute lebt, - dessen Flügel sind zu kurz für die Kunst.
Kunst ist der gleitende, freie Überflug, egal, was unten so passiert, behauptet oder telefoniert wird. (1996)

Betrachtet man sich selbst als Teil der universalen Schöpfung, so schrumpfen die Dimensionen der eigenen Existenz ins Mikroorganische. Der verkleinerte Maßstab der Kästen berücksichtigt diese Überflieger-Sichtweise und korrigiert den überschätzten Stellenwert menschlicher Existenz zugunsten der universalen Unendlichkeit und Größe. Er erhebt sich über menschliche Hybris und Selbstgerechtigkeit gegenüber schwächeren Lebenssystemen und signalisiert Geborgenheit im freien Kosmos. (1985)

Ein Künstler denkt bei der Arbeit nicht daran, daß er "Künstler" ist und "Kunst" macht. Ein gutes Kunstwerk hat einen höheren Sinn als den, von einem Künstler zu stammen. (2001)